Dr. Michael Praxenthaler, Verkehrspsychologe im AZT
April 2025
Im Allianz Zentrum für Technik (AZT) haben wir im Rahmen einer Studie festgestellt, dass moderne Technologien im Auto die Ablenkung erheblich steigern. Das Unfallrisiko durch die Nutzung von Bordcomputern erhöht sich um etwa 50 Prozent. In einer Befragung gab jeder zweite Teilnehmer an, durch den Bordcomputer abgelenkt zu werden. Eine Untersuchung ergab, dass Lkw-Fahrer bis zu 20 Sekunden benötigen, um einen Song auf Spotify auszuwählen, wodurch sich ihre Reaktionsgeschwindigkeit halbiert und die Spurhaltung sowie der Sicherheitsabstand beeinträchtigt werden. Auch für Pkw-Fahrerinnen und -Fahrer sind die Ergebnisse besorgniserregend. Die Nutzung des Touchscreens im Auto verlängert die Reaktionszeit um 57 Prozent – vergleichbar mit der Nutzung eines Handys am Steuer, die die Reaktionszeit um 46 Prozent erhöht.
Die Ablenkung entsteht auf unterschiedliche Arten. Bei der Nutzung von Touchscreens im Auto fehlt oft die haptische Rückmeldung, die wir von Schaltern und Tasten gewohnt sind. Das bedeutet, dass man nicht spürt, ob man das richtige Feld getroffen hat, was die Bedienung während der Fahrt erschwert. Studien zeigen, dass mit haptischer Rückmeldung weniger Fehler passieren.
Außerdem muss man oft zweimal auf den Bildschirm schauen: Einmal, um das Bedienfeld zu finden, und nochmal, um sicherzustellen, dass man die gewünschte Funktion tatsächlich aktiviert hat. Im Gegensatz dazu kann man klassische Bedienelemente wie Tasten und Schalter leicht ertasten und bekommt sofort Feedback, ob man die richtige Funktion ausgewählt hat. Tasten und Schalter haben auch den Vorteil, dass sie immer an derselben, ergonomisch optimierten Stelle platziert sind. Das macht die Bedienung intuitiv und leicht zugänglich. Touchscreen-Elemente hingegen können je nach Menü ihre Position verändern, was die Orientierung erschwert. Ein anschauliches Beispiel ist die Lautstärkeregelung beim Radio: Ein Drehknopf lässt sich sicher und präzise mit mehreren Fingern greifen und drehen, selbst auf unebenen Straßen. Der Slider auf dem Touchscreen hingegen ist oft am unteren Rand platziert und bietet keine feste Handauflage, was die Bedienung komplizierter und weniger zuverlässig macht.
Zusätzlich erfordert die Bedienung moderner Touchscreens mit Gesten wie Wischen und Zoomen mehr Aufmerksamkeit. Bei höheren Geschwindigkeiten oder im Stadtverkehr kann das zu Fehlern führen, da die Hand keinen stabilen Auflagepunkt hat und der Blick auf den Bildschirm nötig ist.
Moderne Autos haben so viele Funktionen, dass es einfach nicht mehr praktikabel ist, für jede einzelne einen eigenen Schalter vorzusehen – und dabei auch noch sicherzustellen, dass alles für den Fahrer gut erreichbar und optisch ansprechend im Cockpit angeordnet ist.
Bei Luxusfahrzeugen wie dem BMW 7er oder der Mercedes-Benz S-Klasse kann der Fahrer über 200 verschiedene Einstellungen und Funktionen nutzen. Diese umfassen alles von Komfort und Sicherheit über Assistenzsysteme bis hin zu Infotainment-Angeboten. Touchscreens bieten einige klare Vorteile, vor allem ihre Anpassungsfähigkeit. Sie lassen sich einfach aktualisieren und neue Funktionen können per Software-Update hinzugefügt werden, ohne das Auto selbst verändern zu müssen.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass ein zentraler Bildschirm viele einzelne Schalter und Knöpfe ersetzt, was Platz im Cockpit spart und das Design moderner und aufgeräumter erscheinen lässt. Zudem erleichtern Touchscreens die Verbindung mit Smartphones und anderen Geräten, was den Zugriff auf Apps, Navigation und Medien vereinfacht und die Nutzung von Infotainment-Systemen fördert.
Zu guter Letzt sind die Kosten ein wichtiger Faktor. Auch wenn die Entwicklung eines Touch-Systems zunächst teuer sein kann, sind sie langfristig oft günstiger. Sie benötigen weniger mechanische Teile und sind einfacher herzustellen und zu warten, da alle LCD-Displays heutzutage nahezu standardisiert sind.
Tesla hat diesen Trend deutlich beeinflusst, indem sie als erster Autohersteller nahezu alle physischen Knöpfe im Cockpit entfernt haben. Stattdessen haben sie die meisten Funktionen auf einen zentralen Bildschirm verlagert, mit Ausnahme der Taste für den Warnblinker, die am Dachhimmel bleibt.
Touchbasierte Systeme müssen nicht zwangsläufig komplexer oder verschachtelter sein als andere Bedienkonzepte. Wie tief oder kompliziert ein Menü ist, hängt vor allem von der Designphilosophie, den Bedürfnissen der Nutzer und der Art der Umsetzung ab, und nicht unbedingt davon, ob es sich um ein Touchsystem handelt.
Um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten, sollte das Menü so gestaltet sein, dass es möglichst wenig ablenkt. Große und leicht zu treffende Schaltflächen sind dabei hilfreich, und wichtige Funktionen sollten mit wenigen Schritten erreichbar sein.
Designer und Entwickler sollten darauf achten, häufig genutzte Funktionen leicht zugänglich zu machen, während weniger wichtige Optionen in Untermenüs untergebracht werden können, um die Benutzeroberfläche übersichtlich zu halten.
Außerdem ist es wichtig, dass alle Untermenüs konsistent aufgebaut sind, damit der Fahrer sich nicht jedes Mal neu orientieren muss, wenn er ein anderes Menü öffnet.
Sprachbedienung und Touchscreens im Auto haben jeweils Vor- und Nachteile, ihre Eignung hängt stark vom Kontext ab. Viele Menschen sind bereits mit Smartphones vertraut und kommen daher intuitiv mit dieser Technik klar.
Wir hier beim Allianz Zentrum für Technik halten es für sinnvoll, sowohl Sprachsteuerung als auch Touchscreens zu nutzen. Sprachsteuerung kann die Hauptmethode sein, während Touchscreens als Unterstützung oder für spezielle Aufgaben dienen.
Sprachsteuerung bietet den Vorteil, dass man das Auto bedienen kann, ohne die Hände vom Lenkrad oder den Blick von der Straße abwenden zu müssen. Das trägt dazu bei, Ablenkungen und Unfallrisiken zu minimieren.
Mit Sprache lassen sich komplexe Befehle wie „Navigiere zur nächsten Tankstelle“ oder „Spiele den Podcast XY“ viel schneller ausführen, als wenn man sich durch komplizierte Menüs klicken müsste.
Außerdem ist die Sprachsteuerung besonders hilfreich für Menschen mit motorischen Einschränkungen oder bei starken Vibrationen, etwa auf unebenen Straßen, da sie dort oft zuverlässiger funktioniert als herkömmliche Bedienelemente.
Die Nutzung eines Touchscreens kann oft präziser sein, da er eine direkte und visuelle Kontrolle bietet. Das ist besonders praktisch, wenn man einen bestimmten Song aus einer Playlist auswählen oder die Sitzheizung einstellen möchte. Zudem sind Touchscreens ideal, um komplexe Menüs und grafische Darstellungen wie Karten oder Energieverbrauchsstatistiken darzustellen.
Ja, es stimmt, dass die Nutzung von Handys am Steuer mehr Aufmerksamkeit bekommt als die von Touchscreens im Auto. Der Grund dafür ist, dass Smartphones besonders gefährlich sind, weil Fahrer ihre Augen komplett von der Straße nehmen, um Nachrichten zu lesen oder Apps zu bedienen. Das kann ernsthafte Sicherheitsprobleme verursachen.
Touchscreens im Auto sind normalerweise so gestaltet, dass sie weniger ablenken. Sie haben oft größere und einfach zu bedienende Schaltflächen, die speziell für den Einsatz im Fahrzeug gemacht sind.
Die intensive Beschäftigung mit der Handynutzung hat historische und rechtliche Gründe, während das Thema Touchscreens noch relativ neu ist. Beide lenken den Fahrer ab, aber bisher konzentrieren sich Gesellschaft und Politik mehr auf Handys. Da die Gefahren von Touchscreens immer mehr erkannt werden, ist es wahrscheinlich, dass auch für diese bald strengere Regeln kommen.
Wir beim Allianz Zentrum für Technik fordern, dass es für zentrale Fahrfunktionen wie Licht oder Scheibenwischer immer haptische Bedienelemente gibt. Und diese wichtigen Elemente sollte der Fahrer immer an derselben Stelle vorfinden, egal in welchem Auto. Und sie müssen immer schnell und einfach zu bedienen sein. Stellen Sie sich vor, Sie sind mit einem Mietwagen unterwegs, es fängt zu schütten an und Sie müssen erstmal den Scheibenwischer im Touchscreen finden …
Den Volltext unserer Ablenkungsstudie mit detaillierten Ergebnissen finden Sie hier.